Familie Gelhar

Richard Gelhar, geb. 23.5.1883 in Strelno, Provinz Posen (heute Strzelno, PL), seit März 1942 illegal in Berlin, 1945–1947 in Berlin, September 1947 in die USA ausgewandert, verstorben am 8.6.1962 in Los Angeles.

Elsa Gelhar, geb. Salinger, geb. 14.7.1884 in Gumbinnen, Ostpreußen (heute Gussew, Oblast Kaliningrad), seit März 1942 illegal in Berlin, 1945–1947 in Berlin, September 1947 in die USA ausgewandert, verstorben am 8.12.1959 in Boston.

Luz Gustav Joachim Gelhar, geb. 19.1.1923 in Berlin, im August 1939 nach Palästina ausgewandert, im Oktober 1951 in die USA, 1957 amerikanische Staatsbürgerschaft, verstorben am 25.3.2000 in Palm Beach/ Florida USA.

Adresse in Werder:  Puschkinstraße 16

 

Vor dem Krieg besaß Richard Gelhar eine Kolonialwaren– und Zuckergroßhandlung in der Kaiserin–Augusta–Allee 110–111 in Berlin–Charlottenburg, möglicherweise zusammen mit seinem Bruder Paul Gelhar in Form einer »Offenen Handelsgesellschaft«. In Werder erwarb er 1925 in der Eduard–Lehmann–Straße 15/16 (heute Puschkinstraße) ein Grundstück und ließ zusammen mit dem Rechtsanwalt Arthur Cohn ein Doppelhaus errichten, das die Familie seitdem als Wochenend– und Sommerhaus nutzte. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Hauseinrichtung mit Äxten zertrümmert; die Familie konnte im Boot auf den Glindower See fliehen. Ein oder zwei Tage nach dem Pogrom bat Frau Gelhar einen Freund der Familie, sich die Zerstörungen anzusehen. Dieser schreibt im Zuge des Entschädigungsverfahrens: »Die Räume machten einen unbeschreiblichen Eindruck. Ich erinnere mich noch, dass das Radio zerschlagen war, die Stühle waren zertrümmert, eine kostbare Vase lag in Scherben, im Badezimmer war das Waschbecken und sogar das Toilettenbecken in Stücke geschlagen. Verschiedene Türen waren stark beschädigt«.

Im November 1938 erwirbt Rechtsanwalt Dr. Fritz Hartwig dieses Sommerhaus. Er weist sich in einem Schreiben von November 1939 als Mitglied des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes aus, einer Standesorganisation zum Zweck der Gleichschaltung, der große Teile des Rechtsstabs angehörten, ohne dass Zwangsmitgliedschaft bestanden hätte. Richard Gelhar besaß in Werder noch die Grundstücke Kesselgrundstraße 6 und Eisenbahnstraße 172/173, nach anderer Quelle 173–175. Das Grundstück in der Kesselgrundstraße wird 1940 an eine Berlinerin verkauft, 1969 wird es »Eigentum des Volkes«. Für die Eisenbahnstraße 172/173 wird im Februar 1943 das Deutsche Reich als Eigentümer im Grundbuch eingetragen, die »Einziehung« des gesamten Vermögens der Gelhars wurde im »Deutsche[n] Reichsanzeiger […]« vom 5.11.1942 bekanntgemacht und anschließend vom Oberfinanzpräsidenten betrieben.

Richard und Elsa Gelhar wohnten seit 1933 in der Bayernallee in Berlin–Charlottenburg. Im Jahr 1937 wird Richard Gelhar vom Amtsgericht Berlin im Wege eines Privatklageverfahrens wegen angeblicher Beleidigung eines SS-Angehörigen zu 500 RM Strafe verurteilt. In der Begründung heißt es, es habe sich um eine »jüdische Unverschämtheit« gehandelt; der Angeklagte gehöre zu den Juden, die es noch immer nicht wahrhaben wollten, daß ihre einstige »Rolle der Anmaßung gegenüber deutschen Volksgenossen« ausgespielt sei. Dieses Urteil wurde nach dem Krieg im Zuge der »Wiedergutmachungs-Rechtsprechung« durch das Landgericht Berlin in erster Instanz dem Grunde nach bestätigt und erst 1952 in zweiter Instanz durch das Kammergericht Berlin aufgehoben.

Im April 1941 wurde das Ehepaar Gelhar gezwungen in ein sog. »Judenhaus« in der Schöneberger Heylstraße 25 umzuziehen, ihre dortige Adresse »bei Klein« ist ihr letzter »legaler« Aufenthaltsort. Im März 1942 erhielten sie die Formulare für ihre »Vermögenserklärungen«, die sie auch ausfüllten und zurücksandten. Sie verstanden dies aber als Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Deportation und entschlossen sich, in die Illegalität abzutauchen. Sie erhielten Unterkunft bei einem befreundeten deutsch–ungarischen Ehepaar, mussten dieses Quartier aber verlassen, als deren Wohnung im März 1943 durch einen Bombenangriff zerstört wurde. Bis zur Befreiung Berlins im Mai 1945 kamen sie danach in Hönow, östlich von Berlin bei Hoppegarten, unter. Unterstützt wurden sie in dieser äußerst bedrängten Situation auch durch einen langjährigen Geschäftspartner und Freund von Richard Gelhar, der sie immer wieder über eine Deckadresse mit Lebensmitteln versorgte.

Dem Sohn Luz gelang im August 1939 noch die Emigration nach Palästina, 1951 wanderte er aus Israel in die USA aus, erwarb 1957 die amerikanische Staatsbürgerschaft und nennt sich seitdem Larry Gelhar. Da er in Deutschland keine staatliche Schule besuchen durfte, blieben ihm ein höherer Schulabschluss und sein eigentliches Berufsziel Ingenieur verwehrt, und er war deshalb, wie er 1953 in seinem Entschädigungsantrag schreibt, »gezwungen untergeordnete Stellungen anzunehmen«.

Nach dem Krieg führte Richard Gelhar kurzzeitig unter der Adresse Berlin–Dahlem, Rohlfsstraße 4 wieder eine Lebensmittelgroßhandlung. Im Juli 1946 sucht er mit einer Annonce in der Zeitschrift » Der Weg« nach seiner im Januar 1943 nach Auschwitz verschleppten und dort umgekommenen Nichte Marion. Sie war die Tochter seines Bruders Paul und dessen Frau Hertha. Dieser Bruder und seine Frau sind ebenso wie deren weiteres Kind Stephan in Auschwitz ermordet wurden. Im September 1947 wanderte das Ehepaar Gelhar in die USA aus, wo Richard Gelhar am 8.6.1962 verstirbt, seine Frau war bereits am 8.12.1959 gestorben.

Quellen: BArch: Ergänzungskarte VZ 1939; BLHA: Rep.36 A (II), Nr. 11045, Nr. 56000, GB Werder Bd. 55, Bl. 2486, GB Werder Bd.72, Bl. 2912; BEG–Akten Nrr. 251.150, 55.647, 58.618, 57.641, 379.890; SAW: Bauakte Puschkinstraße 15/16, 1925–1929 und 1939–1941; Schadensaufnahme zum Novemberpogrom 1938; GDW: Mitteilung Beate Kosmala v. 25. 11. 2013; »Der Weg«, Nr. 20 v. 12.7.1946; Ingrid Dietloff [recte: Diedloff], Erinnerungen an die Pogromnacht 9. November 1938 (1), in: Blütenstadt Werder (Havel) – Heimatgeschichtliche Beiträge 2010, S. 50.