Familie Guttsmann

Walter Johann Guttsmann, geb. 8.5.1880 in Berlin, seit 1927 auch in Werder ansässig, deportiert am 28.3.1942 in das Getto von Piaski/Distrikt Lublin, ermordet 1942, vermutlich im Oktober/ November in Sobibór.

Helene Guttsmann, geb. Kamerase, geb. 5.8.1887 in Strehlen/Schlesien (heute Strzelin, PL), deportiert am 28. 3. 1942 in das Getto von Piaski/Distrikt Lublin, ermordet 1942, vermutlich im Oktober/November in Sobibór.

Wilhelm Leo Guttsmann, (in England: William Leo Guttsman), geb. 23.8.1920 in Berlin, emigrierte im Februar 1939 nach England, verstorben am 13.2.1998 in Norwich.

Hannah Guttsmann, verheiratete Shalem, geb. 3.9.1923 in Berlin, emigrierte 1939 nach Palästina, lebt in Israel.

Adresse in Werder:  Schwalbenbergweg 27

 

Walter Johann Guttsmann studierte vom Wintersemester 1898/99 bis Wintersemester 1902/03 an der Technischen Hochschule Berlin im Studiengang Elektrotechnik, 1904 Diplomexamen, seitdem als Ingenieur in verschiedenen Funktionen bei der AEG tätig. Im 1. Weltkrieg war er Soldat, seine Frau Helene heiratete er nach dem Krieg 1919 in Berlin–Neukölln. 1920 wurde der Sohn Wilhelm, 1923 die Tochter Hannah geboren. Nach dem Krieg wieder bei der AEG tätig, erhielt er 1927 Prokura. Noch 1932 hat die AEG eine Erfindung Guttsmanns als Patent angemeldet. Am 30.6.1933 wurde ihm die Prokura entzogen, und er wurde in den Ruhestand entlassen, offensichtlich weil er Jude war. Allerdings zahlte ihm die AEG »auf Lebenszeit« ein Ruhegehalt.

In Berlin wohnte die Familie nach Ausweis der Adressbücher bis 1931/32 in der Wilmersdorfer Achenbachstraße (heute: Lietzenburger Straße) 20, danach bis 1934/35 in der Mommsenstraße 22 in Charlottenburg. Im Adressbuch von 1935 findet sich kein Eintrag mehr, was auf einen Umzug nach Werder hinweist, wo sie im Adressbuch von 1936/37 erstmals verzeichnet sind.

Bereits 1927 hatten die Guttsmanns ein Grundstück in Werder, Am Schwalbenberg 27 (heute: Schwalbenbergweg) erworben, das seit 1934/35 zu ihrem ständigen Wohnsitz wurde. Hier betrieb Walter Johann Guttsmann eine Firma für »Technische Beratung«. In der Pogromnacht im November 1938 wurde, wie eine erhaltene Schadensliste dokumentiert, der gutbürgerliche Haushalt der Guttsmanns in Werder fast vollständig verwüstet. Offensichtlich als unmittelbare Folge dieser schockierenden Erfahrung hat die Familie das Haus am Schwalbenberg bereits im Februar 1939 an einen Werderaner Landwirt verkauft und ist nach Berlin zurückgezogen. Als ihre vorletzte Adresse in Berlin ist die Spichernstraße 11/12 angegeben. Das Berliner Adressbuch von 1941 verzeichnet dort eine »Sophie Guttsmann, Kaufmannswitwe«, wohl eine Verwandte von Walter Johann Guttsmann. Als letzte Adresse der Guttsmanns in Berlin nennt die Akte des Oberfinanzpräsidenten jedoch eine Wohnung in der Güntzelstraße 60 in Berlin–Wilmersdorf, offensichtlich ein erzwungener Umzug in eine sog. »Judenwohnung«. In Berlin war Walter Johann Guttsmann ehrenamtlich für das » Palästinaamt« und die » Reichsvereinigung der Juden« tätig.

Der Sohn Wilhelm war nach dem Novemberpogrom 1938 im KZ Buchenwald inhaftiert; nach der Entlassung gelang ihm im Februar 1939 die Emigration nach England; die Tochter Hannah kam mit der Jugend–Alija nach Palästina in ein von deutschen Einwanderern gegründetes Kibbuz. Auch die Eltern hatten die begründete Hoffnung auf der Grundlage des Ha’avara–Abkommens nach Palästina auswandern zu können, sie waren seit Mai 1939 im Besitz einer Ausfuhrgenehmigung der Devisenstelle für ihr Umzugsgut und hatten noch im August 1939 eine beträchtliche Summe auf ein Transferkonto eingezahlt. Der Kriegsausbruch am 1.9. hat diese Emigration offensichtlich verhindert.

Am 28.3.1942 wurden Walter Johann und Helene Guttsmann zusammen mit 983 weiteren Personen mit dem 11. Osttransport aus Berlin in das Getto von Piaski bei Lublin deportiert. Die letzten Lebensspuren von Walter Johann Guttsmann sind zwei Dokumente aus Piaski und Lublin, aus denen hervorgeht, dass er im Mai 1942 noch Mitglied des Judenrates im Getto Piaski geworden ist.

Der Oberfinanzpräsident Berlin–Brandenburg fahndet bis Dezember 1944 nach dem Geld der Guttsmanns auf dem Transferkonto und hat schließlich Erfolg, am 26.12.1944 verbucht die Oberfinanzkasse den Zahlungseingang!

Wie und wann Walter Johann und Helene Guttsmann umgekommen sind, läßt sich nicht sicher feststellen. Soweit sie nicht bereits vorher den elenden Lebensbedingungen im überfüllten Getto von Piaski erlegen sind, können sie entweder im Vernichtungslager Sobibór im Oktober/ November 1942 umgebracht worden sein oder, wenn sie die Auflösung des Gettos im März/April 1943 noch erlebt haben, zusammen mit etwa tausend anderen Opfern in Piaski erschossen worden sein.

Wilhelm Guttsmann erlitt nach Kriegsausbruch auch in England noch ein Deportationsschicksal, wenn auch keines mit tödlichem Ausgang. Als »feindlicher Ausländer« interniert, wurde er mit etwa 2500 weiteren Betroffenen im Juli 1940 auf einer 57–tägigen Schiffsreise unter katastrophalen Umständen nach Australien deportiert. 1942 nach England zurückgekehrt, studierte er ab 1946 an der »London School of Economics«, war als Bibliothekar tätig und von 1961–1985 Direktor (»Chief Librarian«) der Universitätsbibliothek von Norwich. Er ist Verfasser mehrerer Standardwerke, u. a. The British Political Elite (1963), The German Social Democratic Party 1875–1933 (1981) und Art for the Workers (1997).

Seit Oktober 2014 liegen vor dem Grundstück Schwalbenbergweg 27 zwei Stolpersteine für Walter Johann und Helene Guttsmann.

Quellen: BArch: Gedenkbuch […], R 1509 Ergänzungskarte VZ 1939; BLHA: Rep. 36 A (II) Nr. 13329, Karteikarte, Rep. A I LW Reg. Potsdam, Abt. I Land– und Wasserwirtschaft, Nr. 173: Jüdische Grundstücke, GB Werder Bd. 73, Bl. 2955; UATUB: Studentenmatrikel, Bd. IV (1891–1899), S. 359; DTM–AEG–Archiv (Unterlagen zu W. J. Guttsmann); Zs. »Messtechnik« 9–10 (1933), S. 169 (AEG–Prokuren); SAW: Schadensliste vom 15. 12. 1938; Yad Vashem: Central Database of Shoa Victims: Gedenkblätter Walter Johann bzw. Helene Guttsmann; WWW. deathcampsorg (ARC–Dokumente April / Mai 1942); Adressbücher von Berlin und Werder 1925ff.; Geoffrey P. Megargee (Hg.), Encyclopedia of Camps and Ghettos 1933–1945, Bloomington – Indianapolis 2012, Bd. II, S. 696–699 (zum Getto Piaski); A. H. Halsey, Art.: Guttsman, William Leo, in: Oxford Dictionary of National Biography, ed. by H. C. G. Matthew and Brian Harrison, Vol. 24, Oxford 2004, Sp. 326f.; Mitteilungen von Janet Guttsman/Toronto, Oktober 2012.