Familie Lipiner

Chaskel (auch: Charles–Heinz) Lipiner, geb. 13.12.1894 in Tarnogrod/Pl., emigrierte 1937 nach Holland und im März 1938 über Großbritannien in die USA, verstorben am 5.5.1951 in New York.

Frieda Lipiner, geb. Lemer, geb. 30.7.1899 in Tarnogrod/Pl., emigrierte 1937 nach Holland und März 1938 über Großbritannien in die USA, verstorben am 28.10.1965 in Glendale, Los Angeles, Calif., USA.

Margot Lipiner, geb. 7.8.1925 in Brandenburg (Havel), seit 1946 verheiratete Marjorie Schachter, emigrierte 1937 mit den Eltern nach Holland und März 1938 über Großbritannien in die USA, verstorben 1988 in Glendale, Los Angeles, Calif., USA.

Edith Lipiner, geb. 11.12.1929 in Werder, seit 1951 verheiratete Goldman, emigrierte 1937 mit den Eltern nach Holland und März 1938 über Großbritannien nach New York, USA, verstorben am 18.6.2009 in Nassau, New York.

Adresse in Werder:  Brandenburger Straße 20

 

Chaskel Lipiner kam mit seiner Frau Frieda, einer Schwester von Bruno Lemer, 1920 nach Deutschland und war zunächst in Brandenburg a. d. Havel als »Reisender«, also Handelsverreter, tätig. 1926 eröffnete er zusammen mit seinem Schwager Bruno Lemer in Werder in der Brandenburger Straße 20 ein Konfektionsgeschäft, das als »Bekleidungshaus für Damen und Herren Lemer & Lipiner« firmierte und in dem neben Kleidung auch Schuhe und Pelzwaren verkauft wurden. Das Geschäft entwickelte sich zunächst außerordentlich gut, so dass es sich auf drei Filialen erweiterte; es zog in erheblichem Maße auch Kundschaft aus dem Umland an. Nach 1933 war es jedoch Boykottmaßnahmen und Anfeindungen ausgesetzt, in der Folge gingen die Umsätze so stark zurück, dass die Inhaber es Ende 1934/Anfang 1935 aufgeben mussten und nach Berlin zogen. In einer später in den USA abgegebenen eidesstattlichen Versicherung schildert Frieda Lemer Leben und Schicksal der Familien Lipiner und Lemer in Werder:

Unsere Familien waren in Werder wegen ihrer sozialen Einstellung und ihrer sozialen Leistungen an die Gemeinde (für Arme) und die Wohltätigkeitsverbände bekannt. Wir haben jedes Jahr für die Armen grössere Mengen Kleidungsstücke, Kartoffeln, Kohlen etc hergegeben. Das hinderte nicht dass wir bald nach 1933 in dem kleinen Ort stark verfolgt und immer mehr boykottiert wurden. Auch uns wohlgesinnte wagten nicht mehr bei uns zu kaufen. Und selbst die humane Einstellung eines örtlichen SS Führers konnte die Verfolgungen und Niederträchtigkeiten nicht aufhalten. Die Geschäfte gingen bis 1935 so zurück, dass wir uns entschlossen ganz von Werder an der Havel wegzuziehen und nach Berlin zu gehen. […] Bei den Judenverfolgungen wurde unter anderem meine kleine Tochter Margot heute USA schwer misshandelt sodass sie Arm und Nase brach und heute noch daran leidet. Zahlreiche Leute weigerten sich Kreditlieferungen zu bezahlen, weil sie glaubten das mit Juden machen zu können.

In Berlin gründeten die Gebrüder Lemer im Dezember 1934 die Firma » Lemer & Co Pelzplattenfabrikation«, in die Chaskel Lipiner im Januar 1935 als Gesellschafter eintrat. Auch dieses Geschäft entwickelte sich zunächst gut, hatte erhebliche Umsätze und beschäftigte zahlreiche Mitarbeiter. Von Repressionsmaßnahmen blieb es zunächst verschont, weil es in bedeutendem Umfang auch Devisen erwirtschaftete. Im Dezember 1937 wurde Chaskel Lipiner jedoch in Berlin beim Verlassen der Firma auf der Straße von SA–Männern so brutal zusammengeschlagen, dass er schwer verletzt und stundenlang bewußtlos war. Die Familie war darüber dermaßen schockiert, dass sie Hals über Kopf einige Tage später fluchtartig nach Holland emigrierte. Sie musste dabei sämtlichen Privatbesitz und auch das Firmeninventar und den Warenbestand zurücklassen. In Holland gelang es ihnen, mit Hilfe eines in New York lebenden Bruders von Charles Lipiner Einreisevisa nach den USA zu erhalten, wo sie am 29.3.1938 ankamen. Charles Lipiner versuchte auch in New York wieder im Pelzhandel tätig zu werden. Auch wegen seiner infolge des Berliner Überfalls angeschlagenen Gesundheit und schwerer psychischer Probleme hatte er jedoch damit so wenig Erfolg, dass die Familie kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten konnte. Er verstarb, erst 55 Jahre alt, im Mai 1951 in New York; seine Frau, ebenfalls schwer erkrankt und seit Jahren arbeitsunfähig, 1965 in Los Angeles. Die beiden Töchter der Familie heirateten 1946 bzw. 1951 amerikanische Staatsbürger und lebten später in New York bzw. Los Angeles.

Quellen: BEG–Akte Nr. 260.907; SAP: Adressbücher von Werder 1930, 1931.