Familie Lemer

Baruch Gershon (auch: Bruno) Lemer, geb. 1.6.1900 in Plusy/PL, 1926–1934 in Werder, 1935 nach Berlin verzogen, 1937 nach Frankreich emigriert, verstorben am 7.1.1993 in Paris.

Hella Lemer, geb. Weinfass, geb. 21.1.1905 in Przeworsk/PL., 1926–1934 in Werder, 1935 nach Berlin verzogen, 1937 nach Frankreich emigriert, verstorben am 10.3.1986 in Paris.

Sali Lemer, geb. 31.3.1926 in Brandenburg/Havel, 1937 mit den Eltern nach Frankreich emigriert, weiteres Schicksal war nicht zu ermitteln.

Jack Lemer, geb. 1.9.1929 in Brandenburg/Havel, 1937 mit den Eltern nach Frankreich emigriert, weiteres Schicksal war nicht zu ermitteln.

Adresse in Werder:  Brandenburger Straße 20

 

Bruno Lemer, als Sohn eines Molkereibesitzers in Polen geboren, kam nach Schul– und kaufmännischer Berufsausbildung in Polen 1919 nach Berlin, ging hier verschiedenen beruflichen Tätigkeiten nach und eröffnete 1922 in Brandenburg/Havel ein Konfektionsgeschäft. 1925 hatte er in Bodenbach/Tschechoslowakei seine Frau Hella geheiratet, 1926 bzw. 1929 wurden die beiden Söhne Sali und Jack in Brandenburg geboren. Das Geschäft in Brandenburg wurde 1926 aufgegeben und die Familie zog nach Werder, wo Bruno Lemer zusammen mit seinem Schwager Chaskel Lipiner in der Brandenburger Straße 20 ein Konfektionsgeschäft eröffnete, das als »Bekleidungshaus für Damen und Herren Lemer & Lipiner« firmierte und in dem neben Kleidung auch Schuhe und Pelzwaren verkauft wurden. Das Geschäft florierte offensichtlich, sodass es sich auf drei Verkaufsstellen erweiterte, zwei in dem Komplex Brandenburger Straße und eine Unter den Linden 4. Möglicherweise war letztere nur eine auf Kommissionsbasis in Kooperation mit dem dortigen »Modehaus für Herren und Knaben« von Adolf Martin betriebene Geschäftsstelle. Außerdem war Bruno Lemer maßgeblich an dem Pelzfabrikationsgeschäft seines Bruders Emil in Berlin beteiligt. 1935 mußten Bruno Lemer und Chaskel Lipiner ihre Geschäfte in Werder aufgeben, weil – wie Bruno Lemer in einer eidesstattlichen Erklärung 1957 schreibt –

[ich] in der kleinen Stadt als Jude zu sehr angefeindet und bekämpft war und mich dort nicht mehr halten konnte. Die drei Geschäfte in Werder waren infolge der Boykottmaßnahmen nach der Machtergreifung zusehends zurückgegangen und schon 1935 nicht mehr zu halten, sodass ich dort liquidieren und verkaufen musste. Auch das Grundstück Brandenburger Straße haben wir verkauft. Wir haben daran ein Vermögen verloren und höchstens 25% der Werte bekommen!

Die Familie zog nach Berlin und Bruno Lemer trat in die Firma seines Bruders ein, die sich erheblich erweiterte und an der sich auch sein bisheriger Geschäftspartner Lipiner beteiligte; das Geschäft firmierte als » Gebrüder Lemer & Co OHG« und hatte nach mehreren Umzügen seinen letzten Sitz in der Niederwallstraße. Die Firma blieb trotz gelegentlicher Kontrollen durch die Gestapo bis Ende 1937 von Repressionen verschont, u. a. weil sie in erheblichem Umfang exportierte und damit Devisen erwirtschaftete.

Am 24.12.1937 jedoch flüchtete Bruno Lemer mit einem falschen tschechoslowakischen Pass über Holland nach Paris; seine Familie war bereits einige Tage vor ihm legal ausgereist. Er hatte erfahren, dass er wegen angeblicher Steuer– und Devisenvergehen verhaftet werden sollte – eine gängige Methode, um jüdische Geschäftsinhaber zur Aufgabe zu zwingen. Die Lemers emigrierten unter Zurücklassung sämtlichen Privat– und Firmenbesitzes und standen in Holland und Frankreich völlig mittellos da; sie lebten von Geld, das ihnen die beiden Brüder Bruno Lemers, Martin und Max Lemer, die 1935 aus Berlin nach Polen zurückgekehrt waren, geschickt hatten.

Bruno Lemer durfte in Frankreich zunächst nicht arbeiten. Während der deutschen Besetzung Frankreichs versteckte er sich zunächst in Paris und ab Oktober 1942 mit der Familie in der sog. »Freien Zone« in und bei Lyon. Die Lemers entgingen so, nachdem die Judenverfolgungen auch in Frankreich massiv eingesetzt hatten, der Verhaftung und der Deportation nach Auschwitz. Nach dem Krieg begann Bruno Lemer, inzwischen gesundheitlich schwer angeschlagen, zusammen mit seinen Söhnen in Paris wieder eine Pelzfabrikation, mit der er aber nur mäßigen Erfolg hatte und die der Familie kaum den Lebensunterhalt eintrug.

Quellen: BLHA: GA Werder, Bd. 6, Bl. 464; BEG–Akte Nr. 268.659; SAW: Adressbücher von Werder 1927 bis 1934.